Mehr als ein Dach über dem Kopf
Vom modernen Tiny House über ein Blockhaus aus dem 14. Jahrhundert bis zu einer besonderen Wohngemeinschaft: Wir haben in Steinen, Ibach und Ingenbohl an drei Türen geklopft – und ganz verschiedene Menschen und Wohnformen kennengelernt.

Wer das Tiny House von Ingeborg Schindler sucht, muss genau hinsehen. Klein und zurückhaltend, versteckt es sich hinter einem Mehrfamilienhaus in Steinen. Und das so gut, dass wir auf dem Weg zu unserem Interviewtermin doch glatt daran vorbeifahren. «Das passiert öfter», lacht die Gastgeberin, als sie den Reporter abholt und die Hand zur Begrüssung hinstreckt. Um in ihr Zuhause zu gelangen, führt sie durch das Treppenhaus und die Kelleretage des Mehrfamilienhauses in den Gartenbereich, wo der moderne Holzwürfel mit grosser Fensterfront seit 2019 steht. Tiny, aber oho!

Das Tiny House, gebaut von der Schmidlin Holzbau AG, ist ein Meisterwerk der Raumnutzung. Unten Küche, Wohn- und Essbereich, oben eine Galerie mit Schlafbereich und Bad. Trotz der kompakten Fläche fühlt sich alles grosszügig an. Ein Grund dafür ist die Decke, die 5,40 Meter in die Höhe ragt. Ein weiteres Highlight ist die grosse Fensterfront, welche «die Natur ins Haus holt», wie es die Bewohnerin beschreibt.
Ingeborg Schindler wohnt aber nicht nur im Tiny House, sie nutzt es auch als Atelier. Als Illustratorin und Creative Director gestaltet sie von Steinen aus Kampagnen für namhafte Kunden wie Sprüngli, Marché Schweiz, die Schweizerische Post und die Deutsche Bahn. «Ich kann überall arbeiten – auf dem Sofa, am Tisch oder draussen auf der Terrasse. Mein iPad ist mein mobiles Studio», sagt sie.
Kreatives Arbeiten auf kleinem Raum
Die Entscheidung, in ein Tiny House zu ziehen, fiel derweil nicht über Nacht. «Ich habe in Paris, Brüssel, Florenz, Berlin, Frankfurt und Zürich gelebt.» Über zwanzig Mal schon ist sie in ihrem Leben umgezogen; der Wandel begleitet sie seit jeher. Als sie vor einigen Jahren eine Stelle in der Schweiz fand, suchte sie eine neue Bleibe – und entdeckte 2019 dieses Haus. Ihre spontane Reaktion: «Das ist klein, aber besonders.» Ihre Möbel aus Frankfurt liess sie zurück. «Mein Sofa war zu gross, und eigentlich wollte ich es auch gar nicht mehr. Ich bin so oft umgezogen, dass meine Möbel irgendwann nicht mehr zu mir passten.» Die ersten Monate im Tiny House lebte sie fast ohne Einrichtung. «Das Haus fühlte sich trotzdem warm und vollständig an – einfach wie für mich gemacht.»
«Man beschränkt sich automatisch.»
Ingeborg Schindler
Wer auf fünfzig Quadratmetern lebt, reduziert zwangsläufig seinen Besitz. «Man beschränkt sich automatisch, das finde ich toll», sagt Ingeborg Schindler. «Ich habe hier immer Ordnung, weil sich gar keine Unordnung anstauen kann.» Dennoch hat sie im Wohnhaus nebenan noch einen Raum für ihre Bücher und ein Atelier. Auch sonst muss Ingeborg Schindler auf nichts verzichten. Es gibt eine Fussbodenheizung, modernste Technik – Komfort auf kleinem Raum. «Alles, was ich brauche, ist hier.» Ein Teil der dafür nötigen Energie wird von der Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert.
Trotz ihrer Liebe zur Ruhe zieht es Ingeborg Schindler immer wieder in die Stadt. Sie liebt Sprachen, andere Kulturen, neue Länder. «Und Zugfahren!» Unterwegs kann sie ideal abschalten oder arbeiten – «je nachdem, was gerade wichtiger ist». Auch heute ist sie immer noch viel in Bewegung: Von Steinen aus reist sie zum Beispiel nach Zürich, Luzern, Lugano – aber auch nach Frankfurt, Paris oder Hamburg. Das Landleben? Für Ingeborg Schindler meist toll, manchmal aber auch herausfordernd. «Ab und an muss ich raus, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf», gibt sie zu.

Leben zwischen Mittelalter und Moderne
Während Ingeborg Schindler ihr Tiny House als minimalistischen Rückzugsort und kreativen Arbeitsplatz nutzt, zeigt sich im Weiler Oberschönenbuch ein ganz anderes Wohnkonzept:
Hier verbindet ein jahrhundertealtes Haus Geschichte und Gegenwart auf eindrucksvolle Weise.
Das Haus, das sich harmonisch in die Landschaft des kleinen Weilers Oberschönenbuch hoch über Ibach einfügt, war über Jahrhunderte hinweg Wohnhaus, Werkstatt und Laden. Die Bohlenbalkendecken sind Originale aus dem frühen 14. Jahrhundert, einen Blick nach draussen boten einst nur kleine Luken, durch die der Rauch entwich. Heute lassen moderne Fenster Licht in das Haus und bieten eine spektakuläre Aussicht auf die umliegenden Berge und den Talkessel. Die Verbindung aus Alt und Neu wird besonders im Wohnbereich sichtbar. «Wir wollten die Struktur erhalten, aber es sollte sich trotzdem wie ein Zuhause anfühlen», erklärt Christoph Bühlmann, der gemeinsam mit seiner Frau Miriam Bühlmann-Zgraggen hier lebt und das Haus in den vergangenen Jahren restauriert hat. Eine offene Feuerstelle aus früheren Zeiten wurde durch einen Kachelofen aus dem 19. Jahrhundert ergänzt, die Wände haben bewusst ihre Patina behalten, während eine moderne Bodenheizung für angenehme Wärme sorgt.
Fundstücke mit Geschichte
Viele der Möbel sind nicht nur stilistisch passend, sondern haben eine eigene Vergangenheit. Ein antiker Schrank aus der Innerschweiz, eine Werkbank, die einst in einer Scheune stand, oder ein Tisch, an dem schon früher die Grosseltern seiner Frau assen.
«Wir entdecken hier immer wieder neue Geschichten.»
Christoph Bühlmann
«Neulich haben wir alte Gravuren gefunden, die wohl seit Jahrhunderten verborgen waren.» Wann immer sich ein solcher Schatz offenbart, gehen Christoph und Miriam Bühlmann-Zgraggen äusserst behutsam damit um. Und das nicht nur, weil das Haus unter Denkmalschutz steht. «Es war uns von Anfang wichtig, dass das Haus bleibt, wie es ist», erklärt Christoph Bühlmann. Doch das bedeutete auch Herausforderungen: Als Beispiele nennt der Hauseigentümer die Brandschutzauflagen, Denkmalschutzvorgaben sowie die Schwierigkeit, moderne Technik in ein mittelalterliches Gebäude zu integrieren. «Wir haben viele Lösungen gefunden, die das Beste aus beiden Welten vereinen», sagt Bühlmann, der sich als Präsident der Interessengemeinschaft für historische Blockbauten aktiv für den Erhalt historischer Bauten im Kanton Schwyz einsetzt. Für ihr besonderes Umbauprojekt wurden Bühlmanns mit dem renommierten Architekturpreis «Roter Nagel» ausgezeichnet. Trotz seiner historischen Bedeutung ist das Haus kein Museum. «Wir wohnen hier», betont Christoph Bühlmann. «Das Haus soll leben.» Doch es ist nicht nur ein privates Refugium, sondern auch eine Inspiration für andere. Regelmässig kommen Architekten, Historiker oder einfach Interessierte vorbei, um das Projekt zu bestaunen. Zum Abschluss gibt es stets ein Apéro und ein feines Glas Wein im Weinkeller, der sich tief in den alten Mauern des Hauses verbirgt.

Selbstbestimmt wohnen – mit Unterstützung
Nach dem Einblick in das Leben im historischen Blockbau des Ehepaars Bühlmann führt die Reise weiter nach Brunnen. Dort ermöglicht die BSZ Stiftung gemeinschaftliches Wohnen mit Begleitung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Patrick Fretz, 35 Jahre alt, lebt seit knapp einem Jahr in einer der Wohngemeinschaften der BSZ Stiftung. Zuvor war er in einer anderen Stiftung wohnhaft, wo er enger begleitet war. Er geniesst seine neue Freiheit – besonders in der Küche. «Ich koche gerne und oft», sagt er stolz. Reis zum Beispiel, Couscous, Kartoffeln – «und öfter mal ein Stück Fleisch». Die Zutaten besorgt er selbst, Einkaufsmöglichkeiten gibt es gleich um die Ecke. Auch sein Mitbewohner ist unabhängig – gekocht und gegessen wird aber meist getrennt. «Trotzdem funktioniert das Zusammenleben», betont Patrick. Dabei werden die beiden bei Bedarf von den Teammitgliedern des Standorts unterstützt. «Wir reflektieren regelmässig gemeinsam, ob alles rundläuft», erklärt Co-Gruppenleiter Raphael Heiniger.

Die BSZ Stiftung betreibt acht Wohnungen im Hertipark Nord. Sieben davon sind für die Bewohnenden reserviert, eine dient als Büro. Maximal drei Personen leben zusammen, jede mit einem eigenen Zimmer, das nach den eigenen Vorstellungen eingerichtet werden kann. Die Stiftung ermöglicht Menschen mit Unterstützungsbedarf damit ein weitgehend selbstbestimmtes Leben. Die Bewohnenden arbeiten tagsüber entweder in der Stiftung oder im ersten Arbeitsmarkt und bewältigen ihren Alltag im Wohnen mit möglichst wenig Begleitung
Werktags ist das Betreuungsteam von 7.30 bis 10.30 Uhr sowie von 14 bis 21 Uhr vor Ort, am Wochenende von 10 bis 20 Uhr – dazwischen sind die Bewohnenden mehrheitlich auf sich gestellt. «Das bedingt eine gewisse Selbstständigkeit», sagt Raphael Heiniger. «Während der Nachtstunden müssen die Bewohnenden der Aussen-Wohngemeinschaft im Bedarfsfall in der Lage sein, selbstständig Hilfe zu organisieren», erklärt der Co-Gruppenleiter.

Zusammenleben mit Freiraum
Auch in der WG von Heidi Ott und Urs Baggenstoss gegenüber läuft das Zusammenleben meist harmonisch. Im Gegensatz zu Patrick nebenan ist Urs Baggenstoss zwar kein grosser Koch, er hilft seiner Mitbewohnerin aber gerne beim Schnippeln und Rüsten. «Wir sind ein gutes Team», finden die beiden. Ob Einkaufen, Putzen oder Waschen: Den Haushalt meistern sie zum grössten Teil selbst. Urs Baggenstoss freut sich, seine Wohnung mit Heidi Ott und einem weiteren Mitbewohner zu teilen. «Da ist immer etwas los.» Und wenn er doch einmal Zeit für sich selbst braucht, zieht er sich gerne in sein Zimmer zurück. Neben seinem Bett liegt eine bunte Spielmatte mit einer Miniaturfarm – Pferde, Kühe und ein Bauernhof, den er selbst aufgebaut hat. Auf den Regalen stehen Miniaturautos und geschnitzte Holzfiguren, daneben liegen Fotos von früher. «Das ist meine kleine Welt», sagt Urs Baggenstoss.
Heidi Ott hingegen ist kreativ. In ihrem Zimmer liegen sorgfältig gestaltete Karten, die sie mit viel Liebe zum Detail anfertigt. Ob Geburtstage oder Weihnachten – sie verschickt ihre Kreationen gerne an Freunde und Bekannte. «Es macht mir Freude, anderen damit eine kleine Überraschung zu bereiten», erzählt sie strahlend. Gibt es in der BSZ Stiftung auch mal Streit? «Natürlich», sagt Heidi Ott. «Aber wir setzen uns dann zusammen an den Küchentisch und reden darüber.» Und wenn sie einfach ihre Ruhe will? «Dann gehe ich in mein Zimmer und mache die Tür zu.»